Andacht aus dem aktuellen Gemeindebrief |
Liebe Leserin, lieber Leser!
Mit Erwartungen ist das so eine Sache. Sie sind da, manchmal ohne dass ich es merke. Oft werden sie mir erst bewusst, wenn ich enttäuscht bin: Ich komme nach Hause, und natürlich hat niemand die Spülmaschine ausgeräumt - war ja nicht anders zu erwarten. Aber insgeheim hatte ich es doch irgendwie gehofft. Das Päckchen, dass ich so sehnsüchtig erwarte, ist wieder nicht in der Post gewesen. Und der Besuch, auf den ich mich so gefreut hatte, hat nun doch abgesagt.
Und dann gibt es da noch die Erwartungen, die sich auf Gott richten. Und das sind nicht wenige: Frieden und Gerechtigkeit, Heilung, Schutz und Geleit, Fülle und Wohlstand, Rettung und Hilfe. Das alles schwingt mit in dem alten Begriff Heil. Vor langer Zeit hatte Gott mal versprochen, jemanden zu schicken, der den Menschen das Heil bringt und die Welt heil macht: den Heiland. Wann es so weit war, dass dieser Heiland endlich auftauchte, das wusste niemand so genau. Auch Simeon nicht. Aber ihm war geweissagt worden: Du wirst ihn noch zu sehen bekommen, bevor du stirbst. Darüber war er inzwischen alt geworden, und fast sah es so aus, als würde diese Erwartung, den Heiland zu sehen, doch nicht erfüllt werden. Doch dann geschieht es: Er geht in den Tempel und trifft dort auf ein Ehepaar, die ihren acht Tage alten Sohn zur Beschneidung bringen. Nichts Ungewöhnliches, und doch weiß Simeon plötzlich: „Meine Augen haben den Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern“ (Lk 2, 30 + 31). Simeon freut sich. Seine Erwartungen wurden erfüllt. Erstaunlich, denn der Heiland war nichts weiter als ein kleines Baby. Von dem großen Heil, das er bringen soll, ist noch nicht viel zu sehen. Und doch erkennt Simeon im Jesuskind den Retter, den Gott versprochen hatte.
Ob es mit unseren Erwartungen genauso ist? Wie leicht übersehen wir das, was Gott uns schenkt, weil es nicht unseren Erwartungen entspricht oder weil wir uns etwas anderes erhofft hatten, Größeres. Gottes Heil kommt ganz anders daher: klein und zart. Auch später wird Jesus nicht die Erwartungen erfüllen, die einige an ihn richten - Enttäuschungen vorprogrammiert.
Von Simeon können wir lernen, offen zu sein für das, was kommt, Gott nicht festzulegen darauf, wie er diese Welt heil macht. Wir können lernen, im Gewöhnlichen das Ungewöhnliche zu erkennen, im Kleinen die unermessliche Größe Gottes, in einem kleinen Kind den Heiland.
Und dann gelingt es mir vielleicht auch, wenn ich das nächste Mal nach Hause komme und die Spülmaschine nicht ausgeräumt ist, zu sehen, dass dafür die Küche gefegt wurde. Statt mich darüber zu ärgern, dass das ersehnte Päckchen heute schon wieder nicht angekommen ist, freue ich mich lieber über die Weihnachtskarte, die heute in der Post war. Und statt enttäuscht zu sein über die Absage meines Besuchs, beschließe ich, endlich die Freundin anzurufen, von der ich schon so lange nichts gehört habe.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine erwartungsvolle Adventszeit!
Ihre Vertretungspfarrerin
Sonja Mitze